Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Wegezeit ist Arbeitszeit – für einige Arbeitnehmer könnte dieser Traum bald wahr werden

Die europäische Arbeitszeitrichtlinie und das Arbeitszeitgesetz setzen strikte Grenzen für die zulässige Höchstarbeitszeit im Sinne des Gesundheitsschutzes. Arbeitszeit ist danach jede Zeit, die nicht als Freizeit bezeichnet werden kann, es gibt keine Zwischenkategorien. Daher muss für Grenzfälle, wie z.B. die Fahrt von zu Hause zur Arbeit und zurück eine klare Einordnung vorgenommen werden. Während Wegezeit bislang nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes gilt, liegt dem Europäischen Gerichtshof nunmehr ein Fall zur Entscheidung vor, der die Rechtslandschaft erheblich ändern könnte und viele Arbeitgeber zwingen könnte ihr Geschäftsmodell zu überdenken.

Vom Europäischen Gerichtshof ist in einem spanischen Fall, in dem Arbeitnehmer ohne festen Arbeitsplatz direkt von zu Hause zu Kundenterminen starten und abends auch wieder vom Kunden nach Hause zurückkehren, zu entscheiden, wie die erste und letzte Fahrt des Tages zu werten ist.

Sachverhalt:

Während der ökonomischen Krise 2011 entschieden sich zwei spanische Unternehmen, die Servicetechniker mit der Installation und Wartung von Sicherheitsausrüstung in privaten Wohnungen, industriellen Anlagen und Büros beschäftigen, ihre bisherigen Regionalzentren abzuschaffen und administrative Kapazitäten nur noch in ihrem Hauptquartier in Madrid zu unterhalten. Den Technikern ist ein Servicegebiet zugewiesen, in dem sie direkt von und zum Kunden reisen und dort ihre Tätigkeit ausüben. Dabei betragen die Reisedistanzen teilweise mehr als 100 Kilometer (einfache Strecke). Die Arbeitnehmer erhalten ihre Anweisungen elektronisch und erstellen auch ihre Berichte über Kundenbesuche in gleicher Form.

Die spanischen Unternehmen betrachteten die Fahrt zum ersten Kunden sowie die Rückfahrt zum letzten Kunden nach Hause nicht als Arbeitszeit. Das spanische Gericht hat den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, nunmehr hat der Generalanwalt am 11.06.2015 seine Auffassung publiziert.

Meinung des Generalanwalts:

Nach Auffassung des Generalanwalts stellt die Zeit der Fahrt von zu Hause zum ersten Kunden sowie die Rückfahrt vom letzten Kunden nach Hause Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie dar. Nach dieser Richtlinie (und dem folgen die nationalen Gesetze) ist Arbeitszeit dadurch charakterisiert, dass Arbeitnehmer dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegen und ihre Arbeitsleistung am Arbeitsplatz erbringen.

Der Generalanwalt vertritt für den Fall von Arbeitnehmern, die ohne festen Arbeitsort von zu Hause aus ihre Arbeit aufnehmen und wieder dorthin zurückkehren die Auffassung, dass das Reisen in diesen Fällen einen integralen Bestandteil der zu leistenden Arbeit darstellt, da ohne eine solche Reise eine Dienstleistung beim Kunden völlig unmöglich wäre. Des Weiteren stehe der Arbeitnehmer auch während der Reisezeit unter der Direktionsgewalt des Arbeitgebers, der die Reiseplanungen des Tages (elektronisch) festlegt und gegebenenfalls auch kurzfristig ändert. Die Strecken, die der Arbeitnehmer zurücklegen muss und die Zeit, die dafür aufgewandt werden muss, unterliege somit allein der Disposition des Arbeitgebers, dem insoweit auch freistehe, festgelegte Tourenplanungen zu ändern und den Arbeitnehmer selbst auch im Laufe des Tages anzuweisen einen anderen oder weiteren Kunden aufzusuchen, bevor er nach Hause zurückkehrt.

Der Generalanwalt hat in seiner veröffentlichten Meinung die Gelegenheit genutzt auch auf Gegenargumente der Arbeitgeberseite einzugehen. Diese befürchtete nämlich, dass Arbeitnehmer auf Hin- und Rückfahrt (auch) private Dinge erledigten, so dass die Einordnung als Arbeitszeit nicht gerechtfertigt sei. Dem entgegnet der Generalanwalt, dass es in der Direktionsgewalt des Arbeitgebers liege, derartige Sachverhalte zu unterbinden
und klare Anweisungen zu erteilen, sowie deren Einhaltung zu überwachen. Letztlich sei dieser administrative Zusatzaufwand nur die Folge der freien Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers, die bisher betriebenen Regionalzentren (und damit festen Arbeitsorte der Servicetechniker) aufzugeben.

Ein weiteres Argument des Generalanwalts betrifft die Reisen während des Tages zwischen Kunden, die auch von den betroffenen Arbeitgebern als Arbeitszeit gewertet werden. Ein Unterschied zur ersten und letzten Fahrt sei indes nicht zu erkennen. Überdies nutzt der Arbeitgeber die mit der Aufgabe der Regionalzentren verbundenen Vorteile ebenso wie die Neuerungen der Technik, die es ihm ermöglichen kurzfristig Reisepläne festzulegen und zu ändern, sowie auf diesem Wege Anweisungen zu erteilen. Die diesen selbstgewählten Vorteilen entgegenstehenden Nachteile durch die Wertung der Fahrtzeiten als Reisezeit seien sachlich gerechtfertigt.

Obwohl für den zu entscheidenden Fall nicht von Bedeutung verweist der Generalanwalt im Übrigen auf frühere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, in denen dieser unter Anderem entscheiden hatte, dass es nicht auf das genutzte Verkehrsmittel und die diesbezüglichen Anweisungen des Arbeitgebers ankommt. Die Tatsache, dass die Servicetechniker in dem spanischen Fall mit Firmenfahrzeugen reisten, ist somit für die Einordnung der Zeiten irrelevant.

Zusammenfassung:

Die veröffentlichte Meinung des Generalanwalts ist für den Europäischen Gerichtshof nicht bindend. Dieser wird seine Entscheidung voraussichtlich bis Ende des Jahres veröffentlichen. Üblicherweise, jedoch nicht immer, folgt er den Empfehlungen des Generalanwaltes.

Sofern dies auch in diesem Fall geschehen würde, könnten sich für viele Arbeitgeber erhebliche Folgen in der Arbeitsorganisation ergeben. Insbesondere dort, wo ohne feste Arbeitsplätze gearbeitet wird, z.B. in Service basierten Industrien (wie in dem spanischen Fall) oder generell im Vertriebsbereich, wo häufig Arbeitnehmer ihre Tätigkeit von zu Hause aufnehmen, dürften sich erhebliche Konsequenzen für derzeit von Arbeitgebern verfolgte Geschäftsmodelle ergeben. Dies betrifft insbesondere die Kostenkalkulation und die Personalplanung. Mitarbeiter, die Kunden von zu Hause aus aufsuchen dürften (je nach Vertriebsgebiet) einen erheblichen Teil ihrer täglichen zulässigen Höchstarbeitszeit auf Wegestrecken verbringen, während die eigentliche Tätigkeit bei Kunden vor Ort nur mehr einen geringen Teil der Arbeitszeit darstellt.

Darüber hinaus sind die zwingenden Ruhezeiten des Arbeitszeitgesetzes zu beachten, diese beginnen dann erst nach Rückkehr des Arbeitnehmers an den Heimatort, so dass ein früher Start am nächsten Morgen in vielen Fällen ausgeschlossen sein wird, nachdem eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden einzuhalten ist.

Weitere Konsequenzen dürften sich auch für die Vergütung der Arbeitnehmer ergeben, nicht nur aber auch im Zusammenhang mit der neuen Mindestlohngesetzgebung.

Arbeitgeber sind somit gut beraten, die Entwicklung im Blick zu behalten und die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in diesem Fall genau zu beobachten.